In der Regel frei

In Japan, Indonesien, Taiwan, Südkorea und einigen chinesischen Provinzen ist er seit mehreren Jahrzehnten gesetzlich geregelt. Erste Unternehmen haben ihn außerhalb dieser Länder nun auch schon eingeführt: 2020 „Your Super“ und jetzt Modibodi. Den Menstruationsurlaub.

Mitarbeiterinnen, die unter Menstruationsbeschwerden leiden, können sich ein bis drei Tage pro Monat frei nehmen. Modibodi geht sogar noch einen Schritt weiter. Hier können sich auch Frauen, die unter der Menopause leiden oder eine Fehlgeburt erlitten haben, frei nehmen.

„Ein natürlicher Vorgang soll kein Stigma sein,“ so die Begründung von Kristin Chong, der Firmengründerin von Modibodi.

Aber ist das erstrebenswert? Hilft das Frauen? Bewirkt eine solche Regelung nicht viel mehr genau das Gegenteil?

Grundsätzlich ist die Idee sehr nachvollziehbar. Insbesondere für diejenigen, die genau wissen, wovon hier gesprochen wird. Weder mit Krämpfen eine Besprechung zu leiten, noch schweißgebadet mit Kolleg:innen, Kund:innen oder Vorgesetzten zu interagieren, ist lustig. Sowohl die Menstruationsbeschwerden als auch die Wechseljahresbeschwerden sind aber keine Beschwerden, die nach einigen Tagen oder Wochen vorüber sind und dann hoffentlich nie wieder auftreten. Menstruationsbeschwerden haben Betroffene regelmäßig und über viele Jahre hinweg. Bei den meisten fangen sie im Alter zwischen 11 und 14 Jahren an und enden erst mit Mitte/Ende 40. Um dann fast nahtlos in die Wechseljahresbeschwerden überzugehen.

Für diesen natürlichen Vorgang freie Tage zu gewähren, entstigmatisiert eventuell den natürlichen Vorgang. Es wird aber wesentlich zu dem Stigma:

„Frauen sind nicht durchgängig leistungsfähig und nicht durchgängig einsatzfähig“

beitragen. Dieses sogar verstärken. Welche Auswirkungen solche „Sonder“Regelungen für Frauen haben können, zeigt die Geschichte. Denn Frauen dürfen sich schon seit jeher mit zahlreichen Stigmata rumschlagen. So gut wie alle gehen auf die Menstruation zurück. 

Von 1979 an hatten Mütter nach der Geburt einen sechsmonatigen Kündigungsschutz. Elternzeit für Väter war nicht vorgesehen. Die gibt es erst seit 1986. Tatsächlich in Elternzeit gegangen ist damals aber nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Väter. Erst mit der Einführung der Partnermonate in 2007 tut sich hier langsam etwas. Bis 2007 fielen also in erster Linie Frauen aus. Nach wie vor schlagen sich die jungen Mütter mit diesem Stigma rum. Noch immer gibt es Vorbehalte, junge Frauen einzustellen. Noch immer werden sie, wenn auch durch die Blume, nach ihrer Familienplanung gefragt. 

Bis in die 1970er Jahre war es gesetzlich geregelt, dass verheirateten Frauen nur dann erwerbstätig sein durften, wenn ihr Ehemann dem zustimmte. So sollte sicher gestellt werden, dass sie ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter trotz Job nachkamen. 

Frauen kämpfen noch heute gegen das oben genannte Stigma und dessen weit greifenden Folgen. Noch immer verdienen Frauen „nur dazu“. Noch immer leisten Frauen mehr Care-Arbeit. Noch immer bleiben die Mütter bei den kranken Kindern zuhause. Noch immer kümmern sich in erster Linie die Frauen um pflegebedürftige Angehörige. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. 

Aber: Nicht jede Frau, die potentiell ein Kind bekommen könnte, bekommt auch tatsächlich ein Kind. Nicht jede Mutter, die potentiell nach der Geburt ihres Kinder für drei Jahre im Job ausfallen könnte, fällt tatsächlich aus. Nicht jede Frau, die menstruiert oder sich in den Wechseljahren befindet, leidet oder ist im schlimmsten Fall nicht einsatzfähig.

Unter Menstruationsbeschwerden leiden ungefähr 30 - 50 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter. Aber weniger leistungsfähig sind die meisten deshalb nicht. Ein Team von Wissenschaftler:innen aus Hannover und Zürich hatte unter der Leitung der Professorin Brigitte Leeners drei Aspekte der Kognition unter dem Einfluss veränderter Hormonspiegel über zwei Menstruationszyklen hinweg untersucht: das Arbeitsgedächtnis, kognitive Verzerrungen und die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf zwei Dinge zu richten. Das Ergebnis: Die menstruationsbedingt schwankenden Pegel der Hormone Östrogen, Progesteron und Testosteron beeinflussen die untersuchten kognitiven Leistungen nicht. Nur bei lediglich 10 bis 15 Prozent der Frauen sind die Schmerzen so stark, dass sie ihren normalen Alltag nicht bewältigen können.

Ähnlich sieht es mit den Beschwerden während der Menopause aus. Auch hier sind nicht alle Frauen betroffen. Auch hier gibt es selbstverständlich Frauen, die ganz ohne Beschwerden sind. Bestens gelaunt, leistungsfähig, sportlich aktiv und mental auf der Höhe.

Die Folgen einer Fehlgeburt sind etwas ganz anderes.

Das Problem mit dem extra „Urlaub“ ist, dass er gut gemeint ist, er aber pauschalisiert und somit stigmatisiert. „Urlaub“ für diese Zeit zu gewähren, wird das Problem nicht lösen, sondern vielmehr verstärken. In Japan ist in den vergangenen Jahren die Anzahl Tage, die Frauen aufgrund ihrer Periode frei nahmen, zurück gegangen, so die Wissenschaftlerin Alice J. Dan. Der Grund: Sie hatten Angst, dass ihre Karriere darunter leiden könnte. 

Anstatt Frauen Menstruations“urlaub“ zu gewähren, sollten wir vielmehr allen Mitarbeitenden flexiblere Arbeitsmöglichkeiten, zum Beispiel in Form von mehr Homeoffice gewähren – was Modibodi übrigens auch macht. Wir alle, Männer wie Frauen, haben mal Tage, an denen wir einfach besser von Zuhause aus arbeiten. Natürlich können sich Frauen, die im Dienstleistungssektor oder am Band arbeiten, nicht einfach mal ins Homeoffice begeben. Aber, wenn die Schmerzen so groß sind, dass keine Medikamente helfen, dann ist das ein legitimer Grund für eine Krankschreibung. Die 10 Prozent der Frauen mit Krämpfen sind an diesem Tag de facto arbeitsunfähig. 

Den Stigmata der Menstruation und der Menopause entgegenwirken können wir nicht mit Menstruations- oder Menopausenurlaub. Den Stigmata entgegenwirken können wir nur, indem wir offen darüber sprechen. Darüber, dass einige von uns mehr und andere weniger darunter leiden. Es im Job thematisieren, ohne uns dafür zu entschuldigen. Denn es ist, was es ist: ein natürlicher Vorgang. Kein einziger Mann wäre auf der Welt, hätte seine Mutter nicht menstruiert.